Lene-Voigt-Gesellschaft e.V.

Informationen zu Leben und Werk der Autorin und zur Arbeit der Gesellschaft


Einer erwachsenen Tochter

1935

Bist mein Mädel, bist mein Kind.
Manchmal bin ich auch das deine.
Wechselvoll die Fälle sind:
Mal bist du, mal ich die Kleine.

Und so sind wir zwanzig Jahr
Miteinander schon geschritten.
War die eine in Gefahr,
Hat die and’re mitgelitten.

Deine Augen hell und kühl
Waren Wächter meinem Pfade,
Lenkten sicher mein Gefühl,
Als Verworrenes mir nahte.

Bist mein Mädel, bist mein Kind.
Manchmal bin ich auch das deine.
Wechselvoll die Fälle sind:
Mal bist du, mal ich die Kleine.


Datum: Samstag, 1. Januar 2000
Kategorien: Leseproben
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Fräulein Möchtwersein

1933

Kennen Sie das Fräulein Möchtwersein? O bitte, seien Sie nicht so rasch im Verneinen; denken Sie erst einmal darüber nach. Sie kennen die Dame nämlich ganz bestimmt.

Fräulein Möchtwersein liebt es, sich ständig mit dem Nimbus recht vornehmer Bekanntschaften zu umgeben. Wenn sie erzählt – und sie erzählt gern und reichlich – dann hört sich das etwa so an:

»Den gestrigen Sonntag habe ich ganz nett verbracht. Schon an meiner Post hatte ich viel Freude, Herr Sanitätsrat Ballinger sandte mir ein Kärtchen aus Norwegen. Sie wissen doch, wie blendend ich mich mit dem alten Herrn verstanden habe, als ich damals im Sanatorium den Sekretärinnenposten hatte. Und dan erhielt ich noch eine Einladung für nächsten Mittwoch von Frau von Barkhoff. Gott ja, ich habe die Ärmste ja auch sträflich vernachlässigt. Und dabei war ich doch die einzige, mit der sie seinerzeit in der Stadtbank überhaupt Verkehr pflegte. Frau von Barkhoff ist ja so wählerisch in bezug auf ihren Umgang. Na, und dann bin ich so gegen 11 Uhr zur Promenadenkonzert gegangen. Wer war natürlich dort und hat sich sofort an meine Fesseln geheftet? Rechtsanwalt Mendersen. Aber es lag mir nicht viel an ihm. Ich war denn auch ordentlich froh, als ich ihn bei erster Gelegenheit wieder versetzen konnte. Bei Tomari habe ich dann zu Mittag gespeist, fabelhaften Steinbutt. Da mußte ich gleich den den Professor Dietersen denken, der mich seinerzeit in der Schiller-Runde so auffallend bevorzugt hatte, daß Grete und Suse Berg, die beiden Geheimratstöchter vor Neid auf mich fast geplatzt sind. Also, was ich sagen wollte, das gute Professorchen aß nämlich auch so leidenschaftlich gern Steinbutt. Eigentlich schändlich von mir, daß ich dem famosen alten Herrn auf seinen letzten Brief noch nicht einmal geantwortet habe. Aber unsereiner ist eben immer so schrecklich überlaufen. Da wollte ich nun glücklich am Sonnabend abend mal meine rückständige Korrespondenz erledigen und hatte schon meiner Wirtin, der Postdirektorswitwe, Auftrag zum Heizen gegeben, da läutete doch gegen Büroschluß die Prelly vom Operettentheater an, ob ich Lust hätte, sie am Abend im ›Zigeunerbaron‹ zu hören. Mein Gott, ich mochte der lieben Seele das nicht gut abschlagen. Wir hatten uns immer so nett verstanden, als sie in der früheren Wohnung meine Zimmernachbarin war. Na, und so habe ich denn auch diesen Abend wieder meine Beziehungen geopfert. Sonntag nachmittag las ich einen der neuen Romane, mit denen mich Fräulein Dr. Hellwig überhäuft, obwohl ich sie noch niemals darum gebeten habe. Sie gibt halt so viel auf mein Urteil. Abends bin ich dann ins Schauspielhaus gefahren. Bietet mir doch da in der Straßenbahn der Pfarrer Lewald seinen Platz an. Nett, nicht? Ich habe natürlich abgelehnt, aber er tat es nicht anders, ich mußte mich setzen. Die Vorstellung im Schauspielhaus war gar nicht übel. Nur in der Pause hatte ich Wut, weil mich die olle Kommerzienrätin Brenner mit in ihre Loge zerrte, und dabei hat mich der Stadtbaumeister Friedrich, unser Gegenüber, so auffallend fixiert.«

So plaudert Fräulein Möchtwersein beseligt dahin und weidet sich an der Fülle vornehmer Bekanntschaften, mit denen sie so gern protzt.

Die meisten nennen die Dame gräßlich eingebildet. Könnte man aber nicht eher das Gegenteil behaupten? Steckt nicht mehr ein tiefes Minderwertigkeitsgefühl hinter diesem krampfhaften Haschen nach ein wenig Geltung? Welcher Mensch, der auch nur in geringem Maße eigene Persönlichkeit besitzt, hat es nötig, sich mit fremden Rang und Ruhm aufzuplustern?

Nein, liebes Fräulein Möchtwersein, ich könnte Ihnen nichternstlich zürnen. (Wennschon ich Sie nicht gerade zu meinem Umgang wählen würde.)


Datum: Samstag, 1. Januar 2000
Kategorien: Leseproben
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Sonnenuntergang am Meer

Drei Monologe

1931

Der Berliner

Janz orijinelle Jeschichte det. Wie hinjejossenes Jold. Wär ma nich in Berlin, könnt ma erjriffen sein. Det Sejel da macht sick ooch famos mittenmang in det Joldije rin. So’n Jemälde von die janze Schose für Lottekens Ausstattung wär jar keen schlechta Jedanke. Aber da sitzt jrade keen eenzija Maljingling mit sein Jelumbe mehr ans Jestade, wo ma könnte wat billj in Ufftrag jeben. Unintellijente Jesellschaft det. Keen Jefühl fürs Jeschäft bei die Brüda!

Der Münchner

Teifi, dös hat unser Herrgott wieder amol sauber g’macht! Dös laß i mir g’falln. So a Mordsg’flimmer, wie von fuchzig Sonn’ zu selbiger Zeit, die ausanand g’laufen san. Wie a oanzige große Suppen is dös, wo mei Resl recht vüll Eier neing’schlagen hoat. Goar net g’nug einischaugen kann mer da. Nur schad, daß ös nix zu saufen is, dös Nasse do. Allweil bloß so a damisches Wasser. Aan Durscht hätt i grad, oan Durscht – Himmisakra noch amol!

Der Leipziger

Nee is das awer großartch, heh! Jetzt bleib’ch hier angeworzelt schtehn, bis dr ganze Schlamassel voriewer is. Geene zähn Färde bring mich frieher von där Schtelle wägg. Da gomm een doch färmlich glei de Drän geborzelt vor lauter Riehrung. Ei verbibbch, nu habb’ch mer grade heite ahmd gee reenes Schnubbduch eingeschteckt, daß ’ch ohne Verlächenheet rauszärrn gennte. Na da missmer de Drän ähmd in Sand nuntergullern lassen, ’s hilft alles nischt. Schließlich gommts ja hier uff ä häbbchen Salzches mähr oder wenncher garnich druffahn.


Datum: Samstag, 1. Januar 2000
Kategorien: Leseproben
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Im Freien zu Zweien

1927

Und lebt auch mancher brav allein
In Einsamkeit die Tage,
Zu Pfingsten muß zu zwei’n man sein
Im blütenschweren Hage.

Wenn Lerchenlaut die Morgenluft
Durchklingt mit Jubelwonne.
Die Gärten stehn im Fliederduft,
Die ganze Welt voll Sonne.

Da muß man auf der Sommerfahrt
den Weggenossen haben.
Drum wer zu Pfingsten sich nicht paart,
Der lasse sich begraben.


Datum: Samstag, 1. Januar 2000
Kategorien: Leseproben
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Das Galeriepublikum

Eine Theater-Plauderei

1915

Es zerfällt, oberflächlich betrachtet, in zwei Teile, das Galeriepublikum: in applaudierendes und nichtapplaudierendes. Das erschließt die Frage: Warum applaudieren die Einen? Warum applaudieren die Anderen nicht? Gründe zum Beifallspenden sind: wirkliche Begeisterung, Personenhuldigung und Gewohnheit, Motive des Schweigens: Insichgekehrtsein, Nervosität, Blasiertheit und Verständnislosigkeit.

Ob nun das Applaudieren an sich den Gebildeten oder den Ungebildeten kennzeichnet, ist eine Streitfrage, die Jeder nach persönlichem Empfinden zu lösen hat. Ich denke, in unserer blasierten Zeit ist es einfach ein Labsal, hier und da echte Begeisterung, durchgehenden Enthusiasmus zu finden. Mit der »Bildung« hat das überhaupt nichts zu tun.

Zahllos sind nun die Spezialklassen des Galeriepublikums, die aber immer wieder, sei es bei Oper, Operette oder Schauspiel, in mehr oder minder typischen Exemplaren auftauchen. Ich teile sie mir ein in die Renommisten, die Schulmeister, die Schwätzer und die Sonderlinge. Wenn ich durchaus verdammt sein sollte, zwei dieser Spezies als Nachbarn zu haben, dann würde ich mich bestimmt für die Sonderlinge entscheiden, da diese wenigstens während der Handlung Stillschweigen beobachten. Bei den drei anderen Gattungen ist das nämlich meistens nicht der Fall, vorausgesetzt, daß sie nicht eingeschlafen sind.

Charakterisiert sind die Sonderlinge, die zumeist aus bedenklich jungen Männern mit noch bedenklicheren Haarschöpfen bestehen, kurz dadurch, daß sie vier Akte lang mit verschränkten Armen auf einem Fleck sitzen, die Brauen düster zusammenziehen, selten auf die Bühne sehen und von Jedem, der durch die Reihe will, wiederholt gebeten werden müssen, sich vom Sitz zu erheben. Dann schrecken sie furchtbar zusammen, schnellen empor und verlieren dabei garantiert das Programm oder Opernglas.

Eine wahre Landplage sind die Renommisten und Schwätzer. Eigentlich bilden sie eine Gruppe, doch teile ich sie mir nach den Themen ihrer Redeergüsse in zwei Sorten ein. Die Schwätzer erzählen mir vor Beginn der Vorstellung treuherzig und ausführlich ihre Familienverhältnisse, natürlich mit der ziemlich deutlichen Aufforderung, ich möchte das gleiche tun. Auch Legenden von Gehalt und Stand sind sehr beliebt. Eine besondere Klasse von Schwätzern, meist recht auffallend geputzt, versichert regelmäßig den Nachbarn zur Rechten und zur Linken: »Ich bin heute in der Eile gar nicht dazu gekommen, mich »anständig« anzuziehen. Die alte Bluse da trage ich sonst nie mehr für’s Theater!« Trotzalledem bin ich aber fest davon überzeugt, daß die Betreffenden just die erste Garnitur auf dem Leibe haben. Aber man doch immer so tun, als hätte man noch viel bessere Sachen. Die Entgegnungen der Umsitzenden: »Aber Fräulein, Ihre Bluse ist doch ganz reizend«, nimmt die Angeredete dann gewöhnlich, süß-sauer lächelnd, mit dem geistvollen »Für Wochentags geht’s« hin.

Nun zu den Renommisten, meist bestehend aus 16-18jährigen Menschenkindern beiderlei Geschlechts. In vereinzelten Exemplaren treten auch Damen in den fünfziger Jahren als solche auf. Die Renommisten sind stets mit sämtlichen Hauptdarstellern persönlich bekannt – Verzeihung – gut bekannt. Sie erzählen Jedem, der es hören oder nicht hören will, den Lebenslauf der Helden und Heldinnen. Es ist selbstverständlich, daß sie bei allen Künstlern schon eingeladen waren und gebeten worden sind, eine Photographie anzunehmen. Auch auf dem Wege zum Theater haben die Renommisten stets fabelhaftes Glück. Beim Billettholen treffen sie entweder die Tragödin oder den Oberregisseur an der Kasse, in der Straßenbahn saßen sie neben dem Tenor X., der sie natürlich sofort angelächelt hat. Auch leben die Renommisten in den denkbar günstigsten Wohnungsverhältnissen. Äußert man sein Erstaunen über die allzu gründliche Sachkenntnis der Verhältnisse der Primadonna Soundso, dann meint solch Renommist mitleidig lächelnd:« Ja, wissen Sie, die Freundin von meiner verheirateten Schwester wohnt doch im Hintergebäude von der Frau D. ihrer Etage!« S’ sind eben Glückskinder, diese Renommisten!

Aus Herren der Schöpfung im Alter von 30 bis 40 Jahren setzen sich die Schulmeister zusammen. Seltener sind die weiblichen Vertreter, dieser Klasse. Hat man das betreffende Stück noch nicht gesehen und war man so unklug, dies laut werden zu lassen, ist man dem Schulmeister für den Verlauf dieses Abends verfallen. Mit Schonungsloser Gründlichkeit macht er uns auf tausend Einzelheiten aufmerksam, ohne uns dabei in irgend einer Weise wirklich zu belehren. »Und wissen Sie, nachdem sich das Volk nach rechts verlaufen hat, müssen Sie schnell nach links hinten gucken! Aus der Ecke kommt nämlich dann die Micaëla!« So und auf ähnliche Art bearbeitet der Schulmeister sein Opfer. Direkt spaßig wirkt es, wenn wir uns von ihm ein Stück »erklären« lassen müssen, daß wir zufällig selbst des öfteren gesehen haben. Dann haben wir erst den richtigen Begriff von dieser Art Belehrung. Zu nett ist es, wenn unser Maëstro uns versichert, daß ihn nichts so hinreißt, wie die und die Stelle, und wir überraschen ihn dann in ebendiesem Moment bei einem selbstvergessenen Gähnen.

Daß es neben all den Genannten noch ein gut Teil Durchschnittsmenschen auf dem »Olymp« gibt, nämlich solche, die sich weder nach der einen noch der anderen Seite hin durch unliebsame Eigenschaften hervortun, ist selbstverständlich. Sie repräsentieren die Annehmlichkeit im Umgang mit Menschen, haben aber auf Grund ihres harmonischen Wesens kein Anrecht, an dieser Stelle gewürdigt zu werden.


Datum: Samstag, 1. Januar 2000
Kategorien: Leseproben
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