Lene-Voigt-Gesellschaft e.V.

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Fräulein Möchtwersein

1933

Kennen Sie das Fräulein Möchtwersein? O bitte, seien Sie nicht so rasch im Verneinen; denken Sie erst einmal darüber nach. Sie kennen die Dame nämlich ganz bestimmt.

Fräulein Möchtwersein liebt es, sich ständig mit dem Nimbus recht vornehmer Bekanntschaften zu umgeben. Wenn sie erzählt – und sie erzählt gern und reichlich – dann hört sich das etwa so an:

»Den gestrigen Sonntag habe ich ganz nett verbracht. Schon an meiner Post hatte ich viel Freude, Herr Sanitätsrat Ballinger sandte mir ein Kärtchen aus Norwegen. Sie wissen doch, wie blendend ich mich mit dem alten Herrn verstanden habe, als ich damals im Sanatorium den Sekretärinnenposten hatte. Und dan erhielt ich noch eine Einladung für nächsten Mittwoch von Frau von Barkhoff. Gott ja, ich habe die Ärmste ja auch sträflich vernachlässigt. Und dabei war ich doch die einzige, mit der sie seinerzeit in der Stadtbank überhaupt Verkehr pflegte. Frau von Barkhoff ist ja so wählerisch in bezug auf ihren Umgang. Na, und dann bin ich so gegen 11 Uhr zur Promenadenkonzert gegangen. Wer war natürlich dort und hat sich sofort an meine Fesseln geheftet? Rechtsanwalt Mendersen. Aber es lag mir nicht viel an ihm. Ich war denn auch ordentlich froh, als ich ihn bei erster Gelegenheit wieder versetzen konnte. Bei Tomari habe ich dann zu Mittag gespeist, fabelhaften Steinbutt. Da mußte ich gleich den den Professor Dietersen denken, der mich seinerzeit in der Schiller-Runde so auffallend bevorzugt hatte, daß Grete und Suse Berg, die beiden Geheimratstöchter vor Neid auf mich fast geplatzt sind. Also, was ich sagen wollte, das gute Professorchen aß nämlich auch so leidenschaftlich gern Steinbutt. Eigentlich schändlich von mir, daß ich dem famosen alten Herrn auf seinen letzten Brief noch nicht einmal geantwortet habe. Aber unsereiner ist eben immer so schrecklich überlaufen. Da wollte ich nun glücklich am Sonnabend abend mal meine rückständige Korrespondenz erledigen und hatte schon meiner Wirtin, der Postdirektorswitwe, Auftrag zum Heizen gegeben, da läutete doch gegen Büroschluß die Prelly vom Operettentheater an, ob ich Lust hätte, sie am Abend im ›Zigeunerbaron‹ zu hören. Mein Gott, ich mochte der lieben Seele das nicht gut abschlagen. Wir hatten uns immer so nett verstanden, als sie in der früheren Wohnung meine Zimmernachbarin war. Na, und so habe ich denn auch diesen Abend wieder meine Beziehungen geopfert. Sonntag nachmittag las ich einen der neuen Romane, mit denen mich Fräulein Dr. Hellwig überhäuft, obwohl ich sie noch niemals darum gebeten habe. Sie gibt halt so viel auf mein Urteil. Abends bin ich dann ins Schauspielhaus gefahren. Bietet mir doch da in der Straßenbahn der Pfarrer Lewald seinen Platz an. Nett, nicht? Ich habe natürlich abgelehnt, aber er tat es nicht anders, ich mußte mich setzen. Die Vorstellung im Schauspielhaus war gar nicht übel. Nur in der Pause hatte ich Wut, weil mich die olle Kommerzienrätin Brenner mit in ihre Loge zerrte, und dabei hat mich der Stadtbaumeister Friedrich, unser Gegenüber, so auffallend fixiert.«

So plaudert Fräulein Möchtwersein beseligt dahin und weidet sich an der Fülle vornehmer Bekanntschaften, mit denen sie so gern protzt.

Die meisten nennen die Dame gräßlich eingebildet. Könnte man aber nicht eher das Gegenteil behaupten? Steckt nicht mehr ein tiefes Minderwertigkeitsgefühl hinter diesem krampfhaften Haschen nach ein wenig Geltung? Welcher Mensch, der auch nur in geringem Maße eigene Persönlichkeit besitzt, hat es nötig, sich mit fremden Rang und Ruhm aufzuplustern?

Nein, liebes Fräulein Möchtwersein, ich könnte Ihnen nichternstlich zürnen. (Wennschon ich Sie nicht gerade zu meinem Umgang wählen würde.)


Datum: Samstag, 1. Januar 2000
Kategorien: Leseproben

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