Lene-Voigt-Gesellschaft e.V.

Informationen zu Leben und Werk der Autorin und zur Arbeit der Gesellschaft


Ein Rollmops und die Elemente

1935

Wer hätte dir das vorausgesagt, kleiner Rollmops, als du noch traurig im Schaufenster der Fischhandlung lagst, daß du eines Tages solch hochdramatisches Schicksal erleiden würdest, wie es dir jüngst beschieden.

Da hatte dich deine Käuferin mitsamt der Papierumhüllung vors Küchenfenster gelegt, wie das so ihre Gewohnheit war. Über Nacht kam dann der gewaltige Sturm und fegte sich kleines Etwas zum Nachbarhaus, wo du auf den Boden des Balkons zu liegen kamst und dich tieferschrocken in eine Ecke kuscheltest. Hier hattest du wenigstens Halt vor dem nächsten Windstoß, doch dafür peitschte dich ein Regenguß, so daß dein Pergamentröckchen völlig durchnäßt wurde. Frühmorgens fand man dich und hat über solch Strandgut des Unwetters auch noch seine Witze gemacht. So gefühllos sind die Menschen! Du wurdest gedanknlos in einen Papierkorb geworfen, und dann kam das Allerschrecklichste: Beim Anheizen des Kachelofens gerietest du mit in die Flammen und starbst zu allem Ungemach auch noch den Feuertod.

Doch freue dich trotzdem, kleiner Rollmops, denn das was noch keinem deiner Brüder geschah, dir ward es zuteil: Du bist in die Zeitung gekommen!


Datum: Samstag, 1. Januar 2000
Kategorien: Leseproben
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Nu grade

1928

Wie oft geht uns was schief im Lähm.
Doch därf mer das so schwär nich nähm
un jammern laut: »Wie schade!«
Ärscht rächt schbornt das de Gräfte an,
un frisch befeiert ruft mer dann:
»Nu grade!«

Wenn alles glabbte in dr Welt,
so wie mer sich’s hat vorgeschtellt,
’s wär mit dr Zeit rächt fade.
Aus Hindernissen schbät un frieh
wächst frehlich-fräche Enerchie.
»Nu grade!«

Gemeene Mänschen reich an Zahl
dräächt unsre Erde nu eemal
in jederlei Formade.
Doch jedes Been, das mir geschtellt,
das bracht mich weiter uff dr Welt.
»Nu grade!«


Datum: Samstag, 1. Januar 2000
Kategorien: Leseproben
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Aus Fritzchens Aufsatzheft

Das Radio

1928

Das Radio ist eine großartige Erfindung, die jedermann mit Freuden auf dem Kopfe trägt. Wenn es die tote Urgroßmutter noch mit erlebt hätte, würde sie gesagt haben, ein Wunder, und vielleicht auch nicht mehr richtig kapiert, daß in einem Saal ganz woanders der Sänger brüllt und wir es zu Hause hören. Manchmal kommt ja auch was ´raus, wo ich langweile, von die Börse und so. Was aber gerade ist, wo Vater spannt. Wenn die liebe Mutter den Hörer umhat und macht, als spuckt sie, so ist das nicht unanständig, sondern lernt das englische »th«. Wenn aus dem Radio die modernen Negertänze erschallen, schimpft der Onkel Franz und haut es hin. Aber meine große Schwester Mizzi ist dann glücklich, wobei sie mit alles wackelt. Das alte Fräulein Niedlich von nebenan , das öfter bei uns hört, hat laut geschluchzen bei das Gedicht von die Treue bis über dem Grab, weil das ihr Jugendfreund, wo verschwunden ist, auch immer hergesagt hat. Neulich war unser Apparat kaputt, aber ich habe trotzdem dran gehorcht. Es war sehr schauerlich, was herauskam, wie wilde Tiere, wenn Bauchschmerzen haben. Dazu stand aufs Programm »Ballgeflüster«.


Datum: Samstag, 1. Januar 2000
Kategorien: Leseproben
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Unbewusster Reichtum

Undatiert

Klagte mir da einer neulich,
Wie so bitter und abscheulich
Er darunter leiden muß,
Daß des Schlafes Hochgenuß
Er seit Jahren nicht mehr kennt.
Heiß beneide er, was pennt
Sanft und süß in seinen Betten,
Ohne Pulver und Tabletten
Ängstlich vorher einzunehmen,
Bis sich Morpheus will bequemen.

Ob auch mich dies Übel plagt,
Wurde ich befragt. Ich sagte
Als ein Weib, das gern spricht wahr:
»Nein. Ich schlafe wunderbar.«
Drauf der andere: »Jetzt wohl noch,
Aber einmal trifft Sie’s doch!«
Trübe schlich der Mann von hinnen,
Und ich nahm mir vor tiefinnen:
Mache niemals wieder Kummer
Einem Menschen ohne Schlummer!


Datum: Samstag, 1. Januar 2000
Kategorien: Leseproben
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Dr Handschuhk

Dr Geenich Franz, das war ä Freind
Von Bandern, Lem un Diechern,
Gleich frieh, noch eh‘ de Sonne scheint,
Da saß’r vor sein Viechern.
Un wänn dann de Ministr gam,
»Da brillte Franz gemeene:
Was gimmert mich där ganse Gram?
Macht eiern Dreck alleene!«

Nu sollte mal ä Gamfschbiel sin,
Wo sich de Bestchen frässen.
Das war sowas fier Franz sein Sinn
Un ooch fier de Mädrässen.
Von nah un färn gam angerannt
De Leide, um zu guggen.
Un rief: »’s wärd indrässant,
Wänn sich die Biester schluggen!«

Schon sitzen alle uff ihrn Blatz
Un glotzen durch de Brille,
Da hubbt ä Leewe mit een Satz
In diese Dodenschtille.
Das war ä färchterliches Vieh
Mit schauderhaften Oochen.
Där leecht sich Franzen wiesawie
Un rollt sein Schwanz im Boochen.

Druff gommt ä Diecher abgesaust
Mit mordbegiercher Fratze
Un hebt, daß allen sähre graust,
Zum Angriff seine Datze.

Schon will dr Leewe, wild gemacht,
Sich rewangschiern beim Diecher,
Da schtärzen ausn Zwingerschacht
Zwee Leobardenviecher.

Nu schtehn se alle viere da
Un fauchen wie besässen.
Äs Bubligum, schon denkt sich’s: »Aha,
Jetz wärnse sich gleich frässen.«
Uff eenmal fliecht ä Handschuhk nein
In de Vierbiesterrunde,
Un zu ä Ridder heert mr schrein
De scheene Gunigunde:

»Mei holder Freiund, nu zeiche mal,
Ob Mud du hast im Leibe!
Geh‘ nunter jetz ins Gamflogal!
Dann grichste mich zum Weibe.«
De Leide wär vor Schreck gans blaß
Un flistern schlotternd leise:
»Was die sich rausnimmt, häärnse, das
Is geene Art un Weise.«

Un wärklich laatscht dr Ridder giehn
Jetz nein bei die vier Gatzen.
Die dun zwar midn Oochen gliehn,
Doch feixen ihre Fratzen.
Dänn wennse och gefährlich sin,
D ä r dud’n imboniern.
’n Handschuhk reicht’n freindlich hin
Jetz eener von dän Vieren.

Dr Ridder sagt: »Ich danke scheen!«
Dann faggtr’n bei de Dame
Un dud’r schtolz dn Ricken drehn:
»Adjeh, du Gans, infame!«
Das gommt drvon, wänn änne Maid
Ihrn Liebsten so dud gränken.
Gee andrer hat das Weib gefreit.
(Mr gann’s ooch geen verdänken.)


Datum: Samstag, 1. Januar 2000
Kategorien: Leseproben
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