Lene-Voigt-Gesellschaft e.V.

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Aus Fritzchens Aufsatzheft

Das Radio

1928

Das Radio ist eine großartige Erfindung, die jedermann mit Freuden auf dem Kopfe trägt. Wenn es die tote Urgroßmutter noch mit erlebt hätte, würde sie gesagt haben, ein Wunder, und vielleicht auch nicht mehr richtig kapiert, daß in einem Saal ganz woanders der Sänger brüllt und wir es zu Hause hören. Manchmal kommt ja auch was ´raus, wo ich langweile, von die Börse und so. Was aber gerade ist, wo Vater spannt. Wenn die liebe Mutter den Hörer umhat und macht, als spuckt sie, so ist das nicht unanständig, sondern lernt das englische »th«. Wenn aus dem Radio die modernen Negertänze erschallen, schimpft der Onkel Franz und haut es hin. Aber meine große Schwester Mizzi ist dann glücklich, wobei sie mit alles wackelt. Das alte Fräulein Niedlich von nebenan , das öfter bei uns hört, hat laut geschluchzen bei das Gedicht von die Treue bis über dem Grab, weil das ihr Jugendfreund, wo verschwunden ist, auch immer hergesagt hat. Neulich war unser Apparat kaputt, aber ich habe trotzdem dran gehorcht. Es war sehr schauerlich, was herauskam, wie wilde Tiere, wenn Bauchschmerzen haben. Dazu stand aufs Programm »Ballgeflüster«.


Datum: Samstag, 1. Januar 2000
Kategorien: Leseproben

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